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Gott sieht die Sklavin

Predigt zur Sommerpredigtreihe mit Gen 16,13 (9.7.2023)

Die Geschichte von Hagar und Sara.
Sie wirft uns hinein in die großen Themen des Lebens.
Liebe, Streit, Eifersucht, Konkurrenz, Angst, Wut
– und am Ende: Versöhnung.
Es geht um Kinderlosigkeit.
Um Leihmutterschaft.
Um Patchwork-Familien.

Und auch darum,
wie Frauen damals litten,
in einer Welt, die nicht die ihre war.

Als die Geschichte beginnt,
sind Sara und Abram schon alt.
Zu alt ist Sara, um Kinder zu bekommen.
Aber sie muss doch, das ist ihre Aufgabe.
In dieser Welt, die von Männern beherrscht wird,
hängt ihr Ansehen daran, ob sie Kinder bekommt.
Sie will den Einfluss sichern, den Abram hat.
Er braucht Nachkommen für sein Erbe.

Da hat sie eine Idee.
Sie beauftragt eine andere.
Eine Sklavin soll für sie die Kinder bekommen.
Das ist möglich, in der damaligen Welt.
Eine antike Form der Leihmutterschaft.
Die Sklavin soll gebären.
Die Mutter wird Sara sein.

Sara entscheidet.
Sie überzeugt Abram davon.
Sie entscheiden sich für die Sklavin Hagar.
Hagar darf nicht entscheiden.
Sie ist ja nur Sklavin.
Noch dazu aus Ägypten,
einem fremden Land.
Ihr stehen keinerlei Rechte zu.

Es passiert, was passieren soll.
Hagar wird schwanger.
Und Sara ist eifersüchtig.
Sie kann, was ich nicht kann.
Neid zerfrisst sie.
Das lässt sie Hagar spüren.

Hagar weiß, was an ihr hängt.
Doch sie kann nicht mehr.
Also flieht sie.
In die Wüste.
Eine lebensfeindliche Welt.
Lieber sterben, als so zu leben.

Da erscheint ihr ein Engel.
Ein Bote Gottes.
Er sagt ihr: „Geh zurück!
Du wirst Nachkommen haben.
Ein großes Volk“

Gott hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Ps 91,11)

Ein Engel behütet Hagar.
Er sieht ihr Leid, ihre Angst, ihre Wut.
Er hilft ihr auf, von Gott gesandt.
Er behütet und beschützt sie.
Er steht ihr bei.

Hagar bedankt sich, auf ihre Art:
Die fremde Sklavin gibt Gott einen Namen,
als erste überhaupt in den Geschichten der Bibel.
Sie nennt ihn: „El Roï – Gott, der nach mir schaut“.

Das bedeutet:
Du bist gesehen.
Du bist geliebt.
Du bist gewollt.
Um deiner selbst willen,
als Ebenbild Gottes.

Gott sieht die Sklavin,
die Fremde, die Ausgegrenzte.
Die, die am Rande der Gesellschaft lebt.
Er verhilft ihr zum Recht.
Er erkennt sie an.
Er spricht ihr Würde zu.

So gestärkt kehrt Hagar zurück.
Sie bekommt einen Sohn, Ismael.
Vorfahre aller muslimischen Menschen.

Liebe, Streit, Eifersucht, Konkurrenz, Angst, Wut.
Kinderlosigkeit, Patchwork-Familien,
Reproduktionsmedizin.
Das gibt es auch heute.

Die Konkurrenz unter Frauen, unter Minderheiten,
in einer Welt, die für bestimmte Männer gemacht ist.

Und auch heute bricht Streit darum aus,
wer Kinder haben kann und wie.
Das geht nicht immer gerecht zu.
Denn Reproduktionsmedizin,
die muss man sich leisten können.
Singles, Alleinerziehende, queere Menschen
bleiben da oftmals außen vor.

Und auch das Kindergeld,
so die Feministin Teresa Bücker,
wird vor allem von der Mittelschicht in Anspruch genommen.
Eine Kappung hinterfragt den sozialen Status der gesellschaftlichen Elite.
Doch Erziehung kann nur mit gleichberechtigter Ressourcenverteilung gehen.
Dafür braucht es ganz neue Modelle von Arbeit.
Kindererziehung ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft.

Wie wäre eine Welt
wenn nicht nur Gott uns anschaut –
uns wirklich sieht, wirklich liebt und will –
sondern wenn wir uns auch gegenseitig stärker in den Blick nehmen?
Wenn wir hinschauen zu der anderen.
Zu ihrem Leid, zu ihrer Angst, zu ihrer Wut?
Ganz ohne Eifersucht, Neid und Konkurrenz?

Nur wenn wir solidarisch zusammen stehen,
kann Veränderung möglich werden.
Nur wenn Minderheiten nicht gegeneinander,
sondern miteinander für Veränderung kämpfen,
ist eine wirklich gerechte Welt denkbar.

So wie die Kolumnistin Hanna Lakomy.
Sie schreibt davon in der Berliner Zeitung.
Hanna arbeitet als Escort in München.
In einem schicken München Hotel,
verrichtet sie ihren Dienst.
Unauffällig, diskret, professionell.
Wie eine der Geschäftsreisenden.
Sie sieht aus wie eine von denen „da oben“.
Aber ihre Solidarität gilt dem Personal.

An diesem Morgen im Hotel,
nach ihrem nächtlichen Dienst,
geht Hanna in den Spa-Bereich.
Sie beobachet eine Szene.
Zwei Ehefrauen, ein Kind.
Und eine Nanny.

Die Nanny kümmert sich um das Kind,
ein Junge, der geistig behindert ist.
Sie ist liebevoll, fürsorglich.
Aber auch sehr demütig, fast devot.
Die beiden Ehefrauen sind mit sich beschäftigt.

Hanna pricht die Nanny an.
Sie kommt aus den Philippinen.
Die Eltern des Kindes sind Diplomaten aus Qatar.
Die Frage nach ihrer Bezahlung verneint sie.
Menschenhandel, moderne Sklaverei – erkennt Hanna.
Hanna Lakomy fragt die Nanny nach ihrem Namen: Cecile heißt sie.
Hanna gibt ihr die Nummer einer Hilfsorganisation.

Und so schreibt Hanna:
„Cecile verstand sofort.
Sie machte Screenshots von der Website,
die sie einer Freundin schicken wollte.
Sie war schlau und umsichtig.
Sie hatte nur nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Hilfe für sie.
Und dass es Menschen gibt,
die Menschen wie ihr helfen wollen.
Und da, zwischen den Poolliegen, unbemerkt von den anderen Gästen,
und vor den blöden Augen des Jungen, brach sie in Schluchzen aus.
Ich umarmte sie. Vorsichtig, dachte ich.
Vielleicht hat sie blaue Flecke.
Und dann trennten wir uns hastig, die Escort und die Sklavin,
und jede ging ihrer Wege unter demselben Dach des Luxushotels,
das an diesem Tag unser Arbeitsplatz war.
Aber ich habe sie gesehen. Und sie weiß es.“

Gott hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Ps 91,11)