Predigt am Sonntag Invocavit (26.2.2023):
Zwei stehen sich gegenüber. Er schaut ihr in die Augen und sagt: „Ich würde dich zu einer Königin machen. Gerecht wie die See und die Sonne, stärker als die Grundfesten der Erde.“ Im letzten Jahr habe ich ganz gebannt die Serie „Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ auf Amazon gesehen. Die Serie führt ein in das Geschehen vor der berühmten „Herr der Ringe“-Trilogie von J.R.R. Tolkien. Sie spielt im Zweiten Zeitalter. Bekannte Charaktere wie Galadriel, Elrond, Gandalf, Durin und Isildur kommen darin vor. Am Ende der Serie diese Szene: Zwei stehen sich gegenüber. Sauron führt die Elbin Galadriel in einer Vision in Versuchung. Sie war gerade zurück gekehrt von einer Schlacht, von einem Krieg, mit ungleichen Waffen und Methoden. Ihre Truppen waren unterlagen. Sauron bietet ihr irdische Macht, um die Welt zu heilen und mit ihr an seiner Seite über das Land zu regieren. Doch Galadriel lehnt ab, sie entscheidet sich für das Licht, und Sauron zieht sich nach Mordor zurück.
Auch in der Bibel ist die Versuchung Jesu eine der wirkmächtigsten Geschichten der Bibel. Nicht nur in Gemälden, auch in Büchern, Filmen und Serien wird sie regelmäßig aufgegriffen und neu inszeniert. Es ist eine Geschichte, die von Abgründen und Dunkelheiten berichtet. Jesus zieht sich vierzig Tage zurück in die Wüste. In der lebensfeindlichen Umgebung fastet er. Der Satan nutzt diese Situation aus und versucht Jesus. Er bietet ihm Brot an, er testet seine menschlichen Grenzen und verheißt ihm irdische Macht, um über Königreiche zu herrschen. Doch Jesus lehnt ab und Satan verschwindet. Noch heute ist diese biblische Erzählung von der Wüstenerfahrung Jesu die Grundlage unserer vierzigtägigen Fastenzeit, die in dieser Woche mit Aschermittwoch begonnen hat. Die vierzig Tage sollen dazu dienen, das eigene Leben zu bedenken und sich neu auf Gott auszurichten.
Die Geschichte von der Versuchung Jesu ist nicht die einzige Geschichte, in der der Satan in Erscheinung tritt. Auch im Buch Hiob aus dem Alten Testament kommt der Teufel vor – in einer etwas anderen Rolle. Das Buch Hiob ist wohl eins der spannendsten Bücher der Bibel. Es ist über mehrere Jahrhunderte entstanden. Es sind sogar noch Fragmente aus Papyrus vom Buch Hiob erhalten, die stammen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Wahrscheinlich ist aber das Buch Hiob noch viel, viel älter. Es geht auf eine alte Erzählung zurück, bei der ein Mensch trotz seines Glaubens sehr viel Leid erleben muss.
Im Buch Hiob ist es der Satan, der Teufel, der Hiob prüft. Er ist anders als bei der Versuchungsgeschichte jedoch kein Gegenspieler Gottes, sonder eher eine Art Ankläger. Er gehört zum göttlichen Hofstaat und hat die Aufgabe, den Glauben der Menschen zu prüfen. So ähnlich wie viele Jahrhunderte später Johann Wolfgang von Goethe seinen Mephisto im „Faust“ interpretiert: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht; drum besser wär’s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, Mein eigentliches Element.“
Satan also will Hiob herausfordern und seinen Glauben überprüfen. Er ist sich sicher: Wenn es Hiob nicht mehr gut geht, wird er auch nicht mehr an Gott glauben. Gott nimmt hier eine sehr eigene Rolle ein – denn er lässt Satan gewähren. Gott hindert Satan nicht. Er lässt zu, was geschieht. So bleibt Hiob kaum etwas erspart. Ihm wird alles genommen. Sein Besitz, seine Familie, sogar seine Gesundheit – nur sein Leben und seine Freunde nicht. Hiob fragt sich daraufhin, wie er trotz allem an Gott glauben kann. Wie kann er trotz dieser Ungerechtigkeit am Glauben festhalten?
Es ist eine große Frage, eine Frage, die auch ich mir oft gestellt habe. Wie kann das gehen Gott, dass es so viel Leid gibt? Dass der Krieg in der Ukraine so viele Menschenleben fordert? Wie kann es sein, dass es zu Naturkatastrophen kommt, zu schrecklichen Erdbeben? Und zu Krankheiten, die vor geliebten Menschen nicht halt machen. Und auch nicht vor mir. Nicht einmal das.
Das Buch Hiob versucht darauf eine Antwort zu finden. Es ist klar: Nur, weil jemand sehr gläubig ist, bleibt er oder sie nicht vor Unglück verschont. Andersherum gilt auch: Nur, weil jemand sehr viel Erfolg und Glück erlebt, ist er oder sie nicht besonders fromm. Im Unglück stehen Hiob seine Freunde bei. Sie setzen sich zu ihm. Sie halten das Leid mit ihm aus. Nach einer Zeit des Schweigens, versuchen sie Antworten zu finden, warum Hiob so viele Schicksalsschläge treffen. Doch es gibt keine befriedigende Antwort. Hiob trifft keine Schuld. Er kann nichts für sein Leid. Deshalb fragt Hiob zuletzt Gott selbst: „Sag mir, was ich falsch gemacht habe. Sage mir, warum!“
Doch Gott sagt nichts zum „Warum“. Gott erzählt von allen Wesen und Phänomenen, die Menschen unheimlich sind, die unbeherrschbar sind. Gott erklärt sie zum Teil seiner Schöpfung. Denn Gott hat die gesamte Welt geschaffen mit allem, was darinnen ist – mit dem Bösen und dem Guten. Aus unserer menschlichen Perspektive ist das schwer zu verstehen, wie kann Gott genau diese Welt wollen? Doch, so scheint es, Gott hat eine Idee für seine Welt.
Das Buch Hiob endet damit, dass Hiob trotz allem an seinem Glauben festhält. Ein bisschen wie im Märchen bekommt Hiob alles zurück. Mehr sogar als zuvor. Die Trauer um seine Familie, seine Krankheit, scheinen vergessen. Aber ich bin mir sicher: Die Geschichte geht nicht spurlos an Hiob vorbei. Der Schmerz über den Verlust bleibt.
Das Buch Hiob spricht sich also klar für Gottvertrauen im Leiden aus. Hiob bleibt standhaft, wendet sich in seiner Not an Gott und vertraut ihm. Ganz analog zur Verheißung in Psalm 91,15: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören“.
Ich finde, so richtig befriedigend ist ist die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und nach dem Leid, das selbst Gläubigen und Gottesfürchtigen Menschen zustößt, im Buch Hiob nicht beantwortet. Es bleiben viele Fragen offen. Doch für die Autoren des Buchs ist es wohl klar: Sie ermutigen dazu, im Leiden auf Gott zu vertrauen.
Es gibt noch einen weiterführenden Gedanken, der den biblischen Versuchungs-Geschichten zu Grunde liegt: Manchmal sind es nicht fremde und äußere Mächte, die das Böse mit sich bringen, manchmal sind wir selbst verantwortlich für unsere Taten, die wir begehen: Krieg, Gewalt, Klimakatastrophe sind menschengemacht. Das Böse ist etwas, was in uns selbst lauert, was uns ständig neu herausfordert. Es nötigt uns eine Entscheidung ab. Vielleicht ist es also am Ende auch eine Frage der Haltung: Lasse ich mich vom Bösen soweit beeindrucken, dass ich meinen Glauben aufgebe? Oder kann ich mich am Guten, an Gott, orientieren – so wie Jesus in der Wüste Satan zurückgewiesen hat, indem er sich an Gottes Wort orientierte. Er will sich nicht verkaufen, selbst nicht für irdische Macht. Er bewahrt seine Haltung.
Auch in der Amazon-Serie „Herr der Ringe: Ringe der Macht“ widersteht Galadriel der Versuchung, dem Bösen nachzugeben und ihren Glauben an das Gute aufzugeben. Es fällt ihr nicht leicht, denn: „Manchmal müssen wir, um das Licht zu finden, zuerst mit der Dunkelheit in Berührung kommen.“ Doch schließlich verschwindet Sauron und Galadriel erhält einen der mächtigen Elbenringe. Damit beginnt der epische Kampf des Guten gegen das Böse in Tolkiens Welt. Ein Kampf, der immer wieder auch Haltung braucht und Vertrauen darin, dass Gott seiner Schöpfung in allen Ambivalenzen des Lebens zur Seite steht.