Predigt-Slam im Zeltkulturcamp Völksen (20.8.2021):
Es ist Hochsommer im Zeltlager.
Nachmittags, fast 40 Grad.
Ein leichter Wind weht durch das Zelt.
Die Zeltplanen haben wir hochgeschlagen.
Ich liege im Stroh und schaue hinaus.
Vor dem Zelteingang: der blaue Himmel.
Schäfchenwolken ziehen vorüber.
Ich suche in ihnen Formen.
Ein Wal, ein Blumentopf.
Ich bin 17 Jahre alt.
Meine Haare sind golden wie das Stroh –
gelockt, verdreht, zerzaust verheddert:
Durch das Leben ohne Kamm.
Auch meine Kleidung –
benutzt, verstaubt, getragen, zerfleddert.
Durch das Leben aus dem Koffer.
Mit dir an meiner Seite.
Ich spüre deine Hand in meiner.
Du schaust mich von der Seite an.
Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus:
Wie ein Kribbeln in meinem Bauch.
Ein Kolobri-Flügelschlag:
Zeltlagerliebe.
Wir lernten uns mit 15 kennen.
Wo du warst, da fielst du auf.
Sara, immer ein bisschen zu wild,
zu laut, zu viel, zu links.
Der Mittelpunkt von jeder Party.
Wir freundeten uns an.
Wir saßen auf Häuserdächern,
wir tanzten durch die Nacht.
Wir sangen und lachten,
wir waren: mutig, furchtlos.
Frei, vogelfrei, wandervogelfrei.
„Vor der Flut von Verleumdungen bist du sicher.
Du musst auch nicht befürchten, dass Unheil droht.
Über Bedrückung und Hunger kannst du nur lachen.
Und vor den wilden Tieren hast du keine Angst.
Mit den Steinen des Ackers hast du eine Abmachung.
Die wilden Tiere lassen dich dort in Frieden.
So weißt du, dass dein Zelt sicher ist.
so weißt du, dass deine Familie wächst.“ (Hi 5,17-27*)
Wir hatten keine Angst.
Nicht vor ihren Blicken.
Als wir Händchen hielten.
Als wir uns öffentlich küssten.
Wir hatten keine Angst.
Nicht vor ihren Sprüchen.
Nicht vor den Gerüchten,
dem Mobbing, der Ausgrenzung,
der Verleumdung, der Diskriminierung.
Es zählten nur Du und ich.
Und unsere Liebe.
Du zeigtest mir deine Welt.
Wir gingen demonstrieren.
Wir schwänzten oft die Schule.
Die Demos waren wichtiger.
Wir waren auf der Straße.
Keinen Krieg in Afghanistan.
Keinen Krieg im Irak.
Eine halbe Million Menschen.
Sie demonstrierten in Berlin.
Für den Frieden.
Zitat der Presseerklärung:
„Wir sagen NEIN zu Vergeltung, Krieg und Militäreinsätzen.
Wir sagen NEIN zu militärischen Einsätzen der Bundeswehr.
Wir sagen NEIN zur Aufrüstung der Bundeswehr als Interventionsarmee.
Gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung!“
Und ich war dabei.
Als Pazifist, als Anarchist.
Als Teil der Friedensbewegung.
Als Teil der Jugendbewegung.
Mit dir an meiner Seite.
„Leidest du Hunger, bewahrt er dich vor dem Tod.
Bist du im Krieg, schützt er dich vor dem Schwert.
So weißt du, dass dein Zelt sicher ist.
so weißt du, dass deine Familie wächst.“
Im Hochsommer im Zeltlager.
Als ich gerade 17 Jahre war.
Da sagten wir zueinander „Ja“.
Symbolisch nur, und doch ganz ernst.
Noch lange vor der „Ehe für Alle“.
Du und ich, in einer Vollmondnacht.
Inmitten der Gemeinschaft.
Wir reichten uns die Hände.
Wir brauchten keine Kirche.
Wir brauchten keinen Priester.
Denn das Zelt war Kirche genug.
Und der Sternenhimmel über uns:
„Er spannt den Himmel aus wie einen Schleier
und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt.“ (Ps 104,2)
Gott war mit seinem Segen dabei.
Heute bin ich dankbar für diese Liebe.
Dankbar für diesen Sommer.
Mit dir an meiner Seite.
Wir durften sein, wer wir waren.
Wir durften lieben, wie wir wollten.
Wen wir wollten, wann wir wollten.
Wir durften werden, was wir sind.
Wir durften erwachsen werden.
Ohne Angst, ohne Furcht.
Ohne Gefahr, ohne Gewalt.
Ohne Krieg.
Frei, vogelfrei, wandervogelfrei.
Liebe tut der Seele gut.
Ich wünsche mir diese Freiheit.
Für mich, für dich, für alle.
Für die Mädchen und Frauen.
Für alle queeren Menschen.
In der ganzen Welt
Auch in Afghanistan.
Gott ist groß.
Gott ist größer als Menschenwerk.
Gott ist größer als alle Regeln und Gesetze.
Gott ist ein Gott der Freiheit.
Gott ist ein Gott der Mädchen,
der Frauen, der Flinta, der Queers.
Gott ist ein Gott der Zeltlagerliebe.
Der heimlichen Küsse.
Der Gleichberechtigung.
Des Sternenhimmels.
Der Häuserdächer.
Der Friedensbewegung.
Des Kolibriflügelschlags.
Des Winds und des Strohs.
Der Schäfchenwolken.
Gott ist ein Gott der Freiheit.
Unser aller Gott.
An unserer Seite.
„Er ist es, der verletzt und verbindet,
der Wunden schlägt und sie durch seine Hände heilt.
Aus sechs Gefahren rettet er dich,
in sieben Notlagen trifft dich kein Unglück.
So weißt du, dass dein Zelt sicher ist.
So weißt du, dass deine Familie wächst.“ (Hi 5,17-27*)