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Der Hügel, den wir erklimmen

Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias (31.1.2021):

Ich stelle mir vor:

Es ist ganz früh am Morgen,
am Himmel leuchtet der Morgenstern.
Vier Männer machen sich auf den Weg.
Sie haben Proviant eingepackt,
Wasser und Brot, Feigen und Käse.
Das Ziel ist ein hoher Berggipfel,
den möchten sie erwandern.
Es wird ein herrlich warmer Tag
die Sonne geht gerade auf,
rot scheint sie am Himmel,
über den Hügeln Israels.

Die vier Männer sind:
Jesus und Petrus,
Johannes und Jakobus.
Der Weg ist lang und steinig.
Dornengestrüpp wächst zwischen den Felsen.
Je höher die Sonne steigt, umso heißer wird es.
Schweiß fließt herab, Salz brennt in den Augen.
Je länger es dauert, umso beschwerlicher wird es.
Der Atem geht stoßweise, das Herz klopft im Takt.

Doch irgendwann, irgendwann sind sie da.
Angekommen ganz oben, auf dem Berg.
Sie schauen in das Tal, sehen die Weite.
Sie sehen den blauen Himmel,
das Gleißen der Mittagssonne.
Sie teilen sich Wasser und Brot, Feigen und Käse.
Sie genießen die Auszeit, die Bergluft,
die Himmelsweite, das Atemholen.

Da geschieht es: Jesus geht ein paar Schritte.
Das Sonnenlicht umstrahlt ihn.
Sein Gesicht ist strahlend hell,
seine Kleidung weiß wie Wüstensand.
Wie damals bei Mose, als er die Gebote empfing.
Wie zukünftig bei Elia, auf dessen Wiederkehr sie hoffen.
Fast so ist es, als würde Jesus mit Moses und Elia reden.
Und Elia sieht aus wie Johannes der Täufer.

Petrus ist der erste, der seine Worte wiederfindet:
„Es ist so schön hier. Lass uns drei Hütten bauen!
Dir eine und Mose eine und Elia eine!“
Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne.
Kurzzeitig verdunkelt sie das Licht.
Die Männer hören eine Stimme:
Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Mt 17,5)

Der Schreck fährt in ihre Körper.
Petrus, Jakobus und Johannes – sie fürchten sich.
Woher kommt diese Stimme?
Ist es Gott, der mit ihnen spricht?
Ist Jesus wahrhaftig Gottes Sohn?
Es ist Jesus, der sagt: „Fürchtet euch nicht!“
Sie schauen genau hin.
Kein gleißendes Licht mehr,
kein Mose, kein Elia.
Nur Jesus in seinem Gewand,
staubbedeckt und schweißgebadet, so wie sie.
Ein Mensch wie sie.
Und Jesus sagt ihnen:
„Behaltet das erst einmal für euch.
Niemand muss etwas davon wissen,
bis ich wiederkehre und auferstehe von den Toten!“

Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt,
wenn einst Himmel und Erde vergehen.“ (EG 153,1)

Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Mt 17,5)
So steht es in einem Brief von Petrus.
Er ist viele Jahre später entstanden,
viele Jahre nach dieser Erzählung.
So viel später, dass auch Petrus nicht mehr lebte.
Der Brief wurde in seinem Namen geschrieben.
Von einem, der sich in diese Tradition stellt,
beflügelt vom biblischen Wort und dem Heiligen Geist.

Er sagt: Auch ich war dabei, auch ich habe es gesehen.
Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.
Ich habe Jesus auf dem Berg gesehen.
Und ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.
Ich habe Gottes Stimme gehört, sein Wort.
Dieses Wort ist wie ein helles Licht,
das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht
und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“ (2. Petr 1,19).

Ersagt: Ja, ich glaube an dieses Wort, es gibt mir Kraft.
Achtet auch ihr darauf, haltet auch ihr daran fest.
Denn es trägt uns in schwierigen Zeiten.
Es scheint auch dann, wenn wir Anfechtung erleben.
Wenn wir zweifeln, den Glauben verlieren.
Es scheint in unsere Dunkelheiten.
Er sagt: Ja, ich glaube an dieses Wort, ich halte daran fest.
Ich glaube, dass Jesus wiederkommt zu uns.
Maranatha! Unser Herr komme“

„Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr,
wenn die Herren der Erde gegangen.“ (EG 153,2)

Die Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris
vor eineinhalb Wochen war ein besonderer Moment.
Viele Menschen haben die Bilder aus den USA gebannt verfolgt.
Einige Künstlerinnen und Künstler traten auf.
Darunter auch die 22-Jährige Amanda Gorman,
mit schwarzer Haut, rotem Haarband und gelbem Mantel.
In ihrem Gedicht drückt sie die Hoffnung aus,
die Menschen mit der Wahl von Joe Biden und Kamala Harris verbinden.
Es ist die Hoffnung auf die Gleichberechtigung
insbesondere von Frauen und für People of Color.
Ihr Gedicht trägt den Namen:
Der Hügel, den wir erklimmen“.
Einige Verse daraus klingen so:

„Wenn es Tag wird, fragen wir uns,
wo wir Licht zu finden vermögen,
in diesem niemals endenden Schatten?
Den Verlust, den wir tragen,
ein Meer, das wir durchwaten müssen.
Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt.
Wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet.
Und dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerade ist,
nicht immer Gerechtigkeit sind.
Und doch gehört die Morgendämmerung uns,
noch ehe wir es wussten.
Irgendwie schaffen wir es.
Irgendwie haben wir es überstanden und bezeugten
eine Nation, die nicht kaputt ist,
sondern einfach unvollendet.
Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit,
in der ein dünnes, schwarzes Mädchen,
das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde,
davon träumen kann, Präsidentin zu werden, […]
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,
entflammt und ohne Angst.
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.“ (Amanda Gorman)

Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid,
wo Gewalttat und Elend besiegt sind.“ (EG 153,3)

Als Christin glaube und hoffe ich,
dass dieses Licht Jesus Christus ist.
Ich glaube: Er bringt Licht in unsere Schatten.
Mit ihm kommt die Morgendämmerung.
Mit ihm kommt das neue Reich,
in dem sich keine über die andere erhebt,
in dem Menschen alle Menschen gleichberechtigt sind,
unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Nation,
ihrem Glaubens, ihrem Geschlecht, ihrem Begehren.
Diese Hoffnung ist wie ein Licht,
das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht
und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“ (2. Petr 1,19).
An dieser Hoffnung halte ich fest,
weil Menschen es erlebt haben,
Petrus, Jakobus und Johannes,
Maria, Salome, Martha.
Amanda.

Sie haben davon erzählt.
So wie wir heute: du und ich.

Aus dieser Hoffnung heraus handle ich.
Weil ich glaube, dass wir Jesus Reich
auf die Erde holen können.
Auch jetzt schon. Alle miteinander.
Wenn wir Jesu Wort achten, daran festhalten.
Jesu Auferstehung, so hat es Kurt Marti ausgedrückt,
„das war keine Auferstehung in ferne jenseitige Ewigkeiten.
Es war Auferstehung ins Jetzt und Heute ,
es ist Auferweckung immer wieder
in unsere jeweilige Gegenwart“ (Kurt Marti)

Der Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt
und der Gott mit dem Antlitz des Menschen.“ (EG 153,4)

Es war vor genau zwei Jahren.
Da war es ähnlich kalt wie heute.
Es waren Minusgerade, es schneite.
Frühmorgens stieg ich in einen Zug.
Zwölf Stunden Fahrt lagen vor mir.
Quer durch Europa, bis nach Barcelona.
Mit der Fahrt veränderte sich die Landschaft.
Der Schnee schwand, die Sonne kam hervor.
Und so stand ich viel zu warm angezogen,
nach vielen Stunden mit der Bahn,
auf dem Bahnhof in Barcelona.
Mein Bruder holte mich dort ab.
Ich besuchte ihn ein paar Tage dort.

Zwei Tage später machten wir uns auf,
ganz früh am Morgen, mit Tagesanbruch.
Wir hatten Proviant eingepackt,
Wasser und Kaffee, Croissants und Äpfel.
Das Ziel war ein hoher Berggipfel,
das Kloster au dem Montserrat,
gelegen auf dem Jakobsweg.
Es war ein warmer Tag, fast 20 Grad.
Der Weg war lang und steinig.
Dornengestrüpp wuchs zwischen den Felsen.
Je höher die Sonne stieg, umso heißer wurde es.
Schweiß floss herab, Salz brannte in den Augen.
Je länger es dauerte, umso beschwerlicher wurde es.
Der Atem ging stoßweise, das Herz klopfte im Takt.
Wir erklommen steinerne Treppen, felsige Höhen.

Irgendwann waren dir da, ganz oben auf dem Berg.
Wir schauten ins Tal, sahen die Weite.
Über uns der blaue Himmel,
das Gleißen der Mittagssonne.
Jemand hatte eine Hütte gebaut.
Schon vor langer Zeit, mitten in den Felsen.
Das Kloster Santa Maria del Montserrat.
ein Anlaufpunkt für viele Menschen.
Wir genossen die Auszeit, die Bergluft,
die Himmelweite, das Atemholen.
Wir teilten Wasser und Kaffee,
Croissants und Äpfel.

Später entzünde ich dort eine Kerze.
An der Klosterwand stehen schon viele.
Es sind kleine Lichter, Hoffnungszeichen.
Es sind Bitten an Jesus, an Maria, an Gott.
Menschen erhoffen sich Hilfe, Wunder.
Ein Licht in ihren Herzen,
in ihren Schatten und Dunkelheiten.
Auch ich bitte und bete zu Jesus.
Für mich und für andere.
Ich ich entzünde ein Licht:
das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht
und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“ (2. Petr 1,19).
Bis Jesus kommt.

Heute, zwei Jahre später, denke ich zurück.
Ich denke an diesen besonderen Moment.
An die Kerze, die ich entzündete,
in einem Kloster in der Nähe von Barcelona,
auf einem Bergmassiv, mit meinem Bruder.

Ich denke zurück in diesem Winter,
in diesem langen Winter-Lockdown
der einfach nicht enden will.
Ich denke zurück in dieser Zeit,
die noch so voller Ungerechtigkeiten ist,
voller Ungleichgewichte und Unterdrückungen.
Ich halte mich daran fest:
An dem Wort, an der Hoffnung, an dem Licht,
das scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbricht
und der Morgenstern aufgeht.
Bis Jesus kommt.

Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde,
die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.“ (EG 153,5)