Predigt zum Sonntag Jubilate (12.5.2019):
„Die Weisheit spricht:
Gott hatte mich schon am Anfang seiner Wege,
ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.“ (Spr 8,22)
Dort, wo ich aufgewachsen bin, da gab es nicht viel.
Nur Hochhäuser und Asphalt.
Beim Blick aus dem Fenster:
Weitere Hochhäuser.
Und hinter den Fenstern:
Weitere Kinder.
Den Himmel konnte ich nur erahnen.
Ein blaues Viereck, mitten im Grau.
Aber: Im Innenhof gab es einen Spielplatz.
Ein Klettergerüst mit Metallstangen.
Wir Hochhaus-Kinder waren den ganzen Tag dort.
Bolzten und spielten und tobten.
Dort, wo ich aufgewachsen bin, da gab es nicht viel.
Meine Mutter nähte die Kleidung selbst.
Ich trug kurze Hosen aus Stoffresten.
Meine Knie waren oft aufgeschlagen.
Vom vielen Spielen und Toben.
Überall hatte ich Schrammen und Kratzer.
Vom Asphalt, vom Metall.
Über den Wunden trug ich Pflaster.
Ich spielte mit dem Jungs aus meinem Block.
Sie waren nicht so zimperlich.
Ich war eine von ihnen.
Mit ihnen erfand ich Geschichten.
Wir lebten unsere Fantasie aus.
Erkundeten Dschungel,
erforschten Pflanzen.
Wir fanden Tonscherben.
Und hielten sie für uralt.
Wir waren Forscherinnen und Detektive.
Indianer und Piratinnen.
Entdeckerinnen, wie Indiana Jones.
Oder wie Mulder und Scully.
Wir erkundeten Baustellen.
Verkrochen uns in die Keller.
Wir waren den ganzen Tag unterwegs.
Am liebsten war ich ein: Cowgirl.
Ich liebte den Gedanken an den wilden Westen.
An grenzenlose Freiheit.
Ich war: Ein Wildfang.
Wie war das für dich,
als du ein Kind warst?
Wie hast du die Zeit verbracht?
Und wie hast du gespielt?
Frei und unbedarft?
Ohne Gedanken an ein Morgen?
„Die Weisheit spricht:
Als er die Himmel bereitete, war ich da.
Als er den Kreis zog über den Fluten der Tiefe.
Als er die Wolken droben mächtig machte.
Als er stark machte die Quellen der Tiefe.
Als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern.
Als er die Grundfesten der Erde legte,
da war ich als sein Liebling bei ihm.“ (Spr 8,23-30)
Dort, wo ich aufgewachsen bin,
da gab es nicht viel.
Die Sommer verbrachte ich im Garten.
Er gehörte meinen Großeltern.
Er lag neben den Bahn-Schienen.
Ich lernte zu gießen und zu pflücken.
Ich sammelte Radieschen ein.
Kratzte mich an den Brombeeren.
Probierte von den Johannisbeeren.
Stach mich an den Dornen der Rosen.
Ich baute Häuser aus Ästen.
Verkroch mich darin.
Oder kletterte auf die Bäume.
Stundenlang saß ich auf ihnen.
Bis die Sonne langsam unterging.
Blau und Rot des Abends.
Und der Ruf des Uhus erklang.
Die Tage zogen gleichförmig dahin.
Morgen und Abend.
Jeder Tag gleich.
Ich war im Garten und spielte.
Ich war auf dem Hof und spielte.
Ich war in der Wohnung und spielte.
Ich dachte nicht an Morgen.
Ich machte mir keine Gedanken.
Ich war einfach nur ich.
Fühlte mich: Bei mir.
fühlte mich: Geborgen und gehalten.
Von etwas, das größer war als ich.
Vor dem ich spielen konnte und durfte.
Ich wusste seinen Namen nicht.
Ich wusste nur:
Da ist einer. Sie passt auf mich auf.
Er behütet und beschützt mich.
Sie gibt auf mich Acht, wenn ich spiele.
Er hat seine Freude daran.
Wie war das für dich,
als du ein Kind warst?
Wie hast du die Zeit verbracht?
Und wie hast du gespielt?
Frei und unbedarft?
Ohne Gedanken an ein Morgen?
Hast du Gott gespürt?
„Die Weisheit spricht:
Ich war seine Freude täglich.
Ich spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdkreis.
Ich hatte Freude mit den Menschen.“ (Spr 8,30-31)
Aus der Geschichte von Pippi Langstrumpf:
„Wer hat gesagt, dass man groß werden muss?“ fragte Pippi.
„Wenn ich mich nicht irre, habe ich irgendwo ein paar Pillen.“
„Was für Pillen?“ fragte Thomas.
„Sehr gute Pillen für die, die nicht groß werden wollen“, sagte Pippi.
Sie sprang vom Küchentisch.
Sie suchte überall in Schränken und Schubkästen,
und nach einer Weile brachte sie etwas an,
was genau aussah wie drei gelbe Erbsen.
„Erbsen!“ sagte Thomas erstaunt.
„Glaubst du, was?“ sagte Pippi.
„Das sind keine Erbsen. Das sind Krummeluspillen.
Ich habe sie vor langer Zeit in Rio von einem alten Indianerhäuptling gekriegt,
als ich gerade mal sagte, dass mir nicht so viel daran läge, groß zu werden.“
„Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden groß.“
Irgendwann hat das Spielen und Toben aufgehört.
Die Fantasiegeschichten haben aufgehört.
Die Jahre sind mit der Zeit vergangen.
Und dann sind alle auf einmal: Erwachsen.
Alle spielen jetzt die Spiele von Erwachsenen.
Sie heißen: Baufinanzierung und Steuererklärung.
Mindestlohn und Überstundenabbau.
Burnout-Prophylaxe und Altersvorsorge.
Die Tage ziehen nicht mehr gleichförmig dahin.
Auf einmal sollst du dich entscheiden.
Was möchtest du eigentlich im Leben?
Und wo soll es eigentlich hingehen?
Wer Kinder und Enkelkinder hat,
kann noch heimlich spielen.
Und vielleicht macht es heimlich sogar Spaß.
Indianer und Piratinnen und Entdeckerinnen und Detektive.
Aber nach außen hin heißt es:
Arbeiten und funktionieren.
Verantwortung tragen.
Für die Familie sorgen.
„Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden groß.“
Ich glaube, es ist immer noch da:
Das Bedürfnis zu spielen.
Ganz tief vergraben.
Das Bedürfnis:
Ich zu sein. Bei mir zu sein.
Geborgen und gehalten.
Von einem, der auf mich aufpasst.
Behütet und beschützt.
Und ich glaube,
das ist vollkommen in Ordnung so.
„Lasst die Kinder zu mir kommen.
Menschen wie ihnen gehört mein Reich.“
Das hat Jesus gesagt.
Er hat die Hände ausgestreckt.
Und die Kinder gesegnet.
Das ist der Jesus,
der mit den Fingern durch die Ähren geht.
Kreise in den Staub zeichnet.
Beim Sturm im Boot einschläft.
Manchmal Wasser in Wein verwandelt.
Und auch: Über das Wasser wandelt.
Er hatte seine Freude.
Jesus: Er wohnte unter uns.
Als lebendiges Wort.
In all’ seiner Herrlichkeit.
Voller Gnade und Wahrheit.
Wir sind seine Kinder.
Deswegen: Lasst uns spielen und fröhlich sein.
Lasst uns Farben in den Himmel werfen.
Kirschen von den Bäumen kosten.
Rosenblätter sammeln und verstreuen.
Lasst uns Schmetterlinge beobachten.
Mit Gold und Glitzer segnen.
Und Origami-Herzen basteln.
Lasst uns spielen und fröhlich sein.
Frei und unbedarft.
Ohne Gedanken an ein Morgen.
Und dabei: Gott spüren.
Geborgen und gehalten.
Behütet und beschützt.
Einer ist da, sie passt auf uns auf.
Denn: Wir sind ihre Kinder.
„Ich bin täglich seine Freude.
Ich spiele vor ihm allezeit.
Ich spiele auf seinem Erdkreis.
Ich habe Freude mit den Menschen.“ (Spr 8,30-31)