Predigt am Sonntag Judika (7.4.2019):
Was ist Wahrheit?
Da stehen sich zwei gegenüber.
Jesus und Pilatus.
Der Richter und der Gerichtete.
Die Hölle, das sind die anderen.
Da stehen sich zwei gegenüber.
Im Prätorium, im Regierungssitz.
Ganz früh am morgen.
Draußen singen die ersten Vögel.
Die Sonne schiebt sich über den Horizont.
Pilatus ist noch nicht ganz wach. Er sieht noch ganz verschlafen aus.
Heute würde er vielleicht einen Kaffee trinken.
Damals gab es noch keinen Kaffee.
Also hält er sich fest, am Wort.
Und jetzt das. Noch so einer.
Einer von den Juden.
Sie wollen, dass er stirbt.
Den Tod am Kreuz.
Wie grausam.
Und er soll urteilen.
Was ist wahr?
Was ist falsch?
Was ist Wahrheit?
Da stehen sich zwei gegenüber.
Wie zwei Figuren auf der Bühne.
Jeder kennt seinen Text.
Sie reden.
Sie reden aneinander vorbei.
„Was hast du getan?“
„Bist du der König der Juden?“
„Was ist Wahrheit?“
Sie antworten beide.
Mechanisch. In diesem Drama.
Was für ein drückendes Gefühl.
Denn das sind die einzigen zwei,
die die Wahrheit kennen.
Es ist ein absurder Dialog.
Der Richter ist gefangen.
Genauso wie der Gerichtete.
Sie halten sich beide an den Text.
Sie können nicht entkommen.
Heute nicht.
Ihre Figuren sind festgeschrieben.
Festgeschrieben für alle Ewigkeit.
So wie das Urteil:
Tod am Kreuz.
Jesus sagt:
„Ich habe nichts getan.“
„Ich habe keine irdische Macht.“
„Ich bezeuge die Wahrheit.“
Was ist Wahrheit?
Pilatus befindet:
„Er ist unschuldig!“
Theologische Streitigkeiten gehen Pilatus nichts an.
Dafür ist er nicht zuständig.
Und dafür ist er jetzt aufgestanden?
Um für andere zu entscheiden?
Er hält sich fest am Wort.
Pilatus fragt die Menschen.
Sie stehen vor den Toren.
Eine wütende Menge.
Aufgebracht und zürnend.
Sie entscheiden für Pilatus.
Sie überantworten Jesus dem Tod.
Dem Tod am Kreuz.
„Aber er ist doch unschuldig“
Ein Mensch wie du und ich.
Mit Dornenkrone und Purpurgewand.
Mit Schweiß und Blut.
Mit einer Krone aus Schmerzen.
Was ist Wahrheit?
Jesus ist die Wahrheit.
Er ist eins mit der Wahrheit.
Er ist Gott.
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater, denn durch mich!“ (Joh 14,6)
Das Gegenteil von Wahrheit ist Ignoranz.
Und so ist es auch heute.
Jede hat ihre Wahrheit.
Und fühlt sich im Recht.
Weiß und Schwarz.
Licht und Schatten.
Wer ist da Richter?
Und wer der Gerichtete?
Da stehen sich zwei gegenüber.
Hanna und Jana.
Beides sind junge Frauen.
Eine ist Medizinstudentin.
Die andere ist Pfarrerin.
Sie reden miteinander.
Öffentlich, am Weltfrauentag.
Es ist ein kurzes Video im Internet.
Und die Menschen, die Menge.
Das sind wir, das sind die Medien.
Seit einem Monat wird über dieses Video diskutiert.
In verschiedenen Foren, in Zeitungen.
Wer ist da Richter? Und wer der Gerichtete?
Hanna und Jana sind beide Christinnen.
Aber sie verstehen die Bibel unterschiedlich.
Es geht um die Rolle der Frauen.
Die Studentin Jana sagt:
Sie möchte sich ihrem zukünftigen Ehemann unterordnen.
Denn so steht es schon in der Bibel.
Der Mann ist das Haupt der Familie.
So wie Christus das Haupt der Gemeinde ist.
Die Pfarrerin Hanna sagt:
Manche Bibelworte sind in ihrem Kontext zu verstehen.
Man kann sie heute nicht eins zu eins übernehmen.
Mann und Frau sollten gleichberechtigt sein.
In der Ehe, wie auch in der Gemeinde.
Was ist Wahrheit?
Zwei Frauen. Zwei Meinungen.
Sie kennen ihren Text.
Sie spielen ihre Figuren auf der Bühne.
Sie reden. Sie reden aneinander vorbei.
Das Urteil steht fest.
Und so entscheidet auch die Menge.
So entscheiden auch die Medien, auch wir.
Es bilden sich Parteien.
Zwischen liberalen und konservativen Christinnen und Christen.
Abwechselnd wird die Schuld Jana oder Hanna zugeschoben.
Manchmal auch der evangelischen Publizistik, die Jana finanziert.
Es wird kritisiert und geurteilt.
Verurteilt wird auch.
Das Kreuz wird aufgestellt.
Wer ist da Richter?
Und wer der Gerichtete?
Und was ist Wahrheit?
Wir: Sind Menschen.
Mit Schweiß und Blut.
Mit einer Krone aus Schmerzen.
Mit unseren eigenen Verletzungen.
Unserer eigenen Geschichte.
Wir kennen unseren Weg.
Und so gibt es verschiedene Meinungen.
Es gibt verschiedene Haltungen.
Im Streit verfängt man sich schnell darin.
Man hält an der eigenen Wahrheit fest.
Man will Recht haben. Ganz unbedingt.
Weiß und Schwarz.
Licht und Schatten.
Aber am Ende gibt es nur eine Wahrheit.
Und diese Wahrheit ist Jesus Christus.
Denn er ist eins mit dem Vater, mit Gott.
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater, denn durch mich!“ (Joh 14,6)
Ich halte mich an dieser Wahrheit fest.
An Jesus Christus, der Wahrheit stiftet.
An Jesus Christus, der das Kreuz auf sich genommen hat.
Der unschuldig war und verurteilt wurde.
Der für uns starb.
Er ging hin zu den Menschen.
Zu den Sünderinnen und Sündern.
Zu denen, die ihn verurteilten.
Er hat nicht geurteilt.
Er hat gelebt und geliebt.
Er hat das Leben geteilt.
Und so auch wir: Wir leben und lieben.
Halten uns an Jesus und sein Wort.
Das ist der Weg und die Wahrheit und das Leben.